„SPIELEN HEISST KÄMPFEN“

DER TAGESSPIEGEL, Freitag, 14.04.2010.

„SPIELEN  HEISST KÄMPFEN“ – Nicole Köstler
Enthusiasten haben eine polnische Bühne in Berlin etabliert: das Teatr Studio

Am Salzufer in Charlottenburg liegt Deutschlands einzige deutsch-polnische Studiobühne, das Teatr Studio. Seit sechs Jahren zeigen Janina Szarek und Olav Münzberg, die künstlerischen Leiter, dort vor allem Stücke  polnischer Dramatiker. Die Prinzipalin hat einen energischen Gang. Sie ist Schauspielerin, Regisseurin, vor allem aber Kämpferin. Eine Studiobühne ohne Fördermittel aufzubauen, dafür braucht es Strategie und Improvisationsvermögen.
Ihr Weg zum Theater hat schon in dem kleinen Ort an der ukrainischen Grenze begonnen, in dem sie in den fünfziger Jahre aufwuchs. So bildhaft, wie sie von der verwinkelten Schnapsbrennerei  des Vaters erzählt, wo sie Platz zum Spielen und Träumen fand, sieht man ihn fast vor sich. Nur fünf  Kilometer vom Todeslager Bełzec entfernt, das auch die Geschichte der Erwachsenen prägte. Nach  einem Studium der Theaterwissenschaften und Polonistik  gelang Szarek der Sprung an die Schauspielschule in Krakau.

„Polen in den siebziger Jahren hatte ein großartiges Theater. Tadeusz Kantor, Henryk Tomaszewski,  Konrad Swinarski. Das war europäische Avantgarde. Und meine Umgebung“, schwärmt sie. Ihr erstes Engagement bekam Szarek am Breslauer Stadttheater. Dort traf sie auch  mit den Regiegrößen Krystian Lupa, Jerzy Grzegorzewski, Jerzy Grotowski zusammen, die damals noch am Anfang ihrer Karriere standen. Grotowski formte sein  „Theater der Armut“, Lupa arbeitete an einem grotesken Realismus.
Beide verlangten von ihren Schauspielern höchste physische Präsenz. Nächtelang diskutierten sie über Theater, aber auch über die Politik. Nach den Streikbewegungen der Gewerkschaft „Solidarnosc“ aber drohte Janina Szarek  an der Enge Polens zu ersticken. Im Frühjahr 1981 ging sie für ein halbes Jahr  nach Westberlin. Am 13. Dezember  rief General Jaruzelski das Kriegsrecht aus. Auf einmal stand Janina Szarek vor der Entscheidung ihres Lebens: bleiben oder zurückkehren. „Das war eine Situation wie in der griechischen Tragödie“. Sie entschied  sich für Berlin. Schnell knüpfte sie Kontakte  in die deutsch-polnische Theaterszene um Henryk Baranowski, gründete eigene Gruppen und unterrichtete.
1997 lernte sie Olav Münzberg kennen. Er lebte seit 1962 in Westberlin, war Religionswissenschaftler bei Klaus Heinrich an der FU, Mitherausgeber  von „Ästhetik und Komunikation“, Schriftsteller, Kulturwissenschaftler. Auch sein Bezug zu Polen ist biographisch. !938 wurde er in Gleiwitz geboren, 1945 kam er als Flüchtlingskind nach Deutschland.
Gemeinsam mit ihm baute Szarek 2002 zunächst die private, staatlich anerkannte „Transformschauspielschule“ auf. Sie ist für Regie und Schauspiel zuständig, er für Theorie und  Dramaturgie. Die Einnahmen fließen in die Studiobühne. Als Polen 2004  der EU betrat, eröffnete das Teatr Studio mit Tadeusz Różewicz „Die weiße Ehe“, einem polnischen „Frühlingserwachen“. Zu Premiere reiste der damals 83-jährige Dramatiker  persönlich an.
  Das deutsche Theater ist Szarek oft zu verkopft. „Die Polen“, sagt sie, „sind wie kleine Kinder, sie sind emotionaler. (…) In der Kunst hat man diese Verrücktheit“. Diese künstlerische Naivität  legt sie auch ihren Studenten nahe. Auf der Bühne des Teatr Studio stehen junge Menschen, die schon einige Kämpfe führen mussten und diese Energie auch in ihr Spiel übertragen. (…)

https://www.tagesspiegel.de/kultur/theater-spielen-heisst-kaempfen/1801912.html