OSSIETZKY, Hannover, Nov. 2008, Nr 24 , S. 925/926
Zweiwochen Zeitschrift für Politik / Kultur / Witschaft
BERLINER THEATERSPAZIERGÄNGE – Jochanan Trilse – Finkelstein
(…) Auch das Teatr Studio hat sich an ein großes Stück gewagt: „Die alte Frau brütet“ von Tadeusz Różewicz, inszeniert von Janina Szarek, die auch die Titelrolle spielt. Eine alte Frau sitzt in einem obskuren Bahnhofscafe und brütet über den Sinn der Welt, über tatsächliche Unordnung – sie sitzt umgeben von Müll – und mögliche Ordnung. Entsetzt registriert sie die Gleichgültigkeit der meisten Menschen um sie herum. Der Schmutz wächst. Ihre Lösung ist Fruchtbarkeit, neues Leben, Mütterlichkeit. In einem jungen Mann erkennt sie ihr „Söhnchen“, das wieder verloren geht, sie sucht es bis zuletzt im Müll. Die Szene bricht ab. Scheinbar bleibt alles offen – doch die Hoffnung nach einer möglichen Zukunft bleibt – Brüten ist Metapher des Lebens. Ich sah das Stück seinerzeit in Leipzigs Neuer Szene und bei Henryk Baranowski im Berliner transform Theater. Die Leipziger war die lichteste, die im Studio die prophetischste – so nah sah man die tödliche Gefahr noch nie. Eine beklemmende Aufführung.