„DIE ALLTÄGLICHE APOKALYPSE“

BERLINER  ZEITUNG, 30.01.2007.

„DIE  ALLTÄGLICHE  APOKALYPSE“
 Das polnisch-deutsche „Teatr Studio“ zeigt „Die alte Frau brütet“
 Doris Meierhenrich

Müll überall. Wer hier auftritt muss durch Altpapier waten wie durch einen Sumpf. Hinten ragen Stacheldraht-Barrieren auf, vom letzten Krieg oder für den nächsten – und schon donnern Gewehrsalven los. Menschenarme recken sich aus dem Müllschlamm und versinken. Albtraumsekunden. Doch als wäre nichts geschehen, kichern drei Mädchen auf ihren Stranddecken vor sich hin. Möwen kreischen und die Brandung dröhnt – so laut, dass das Blut gefriert.
        Die alltägliche Apokalypse beschreibt Tadeusz Różewicz in seinem Stück „Eine alte Frau brütet“, das das kleine deutsch-polnische „Teatr Studio“ nun wieder entdeckt hat. Ein rätselhaftes Drama  von 1969, das mit einem Auge in die Vergangenheit blickt und mit dem anderen in die Zukunft. Von Gleichgültigkeit, Krieg und Umweltzerstörung handelt es, obwohl es gar nicht handelt. Denn Różewicz, polnischer Lyriker und Sprachskeptiker schrieb keine Handlungen, sondern offene Situationen, nahm die „übrig gebliebenen Worte aus dem großen Müllhaufen, vom Friedhof“ der Geschichte , wie er sagte, und band sie durch Zweifel und Deutungsverzicht zu neuer Glaubwürdigkeit.
       Um eben diese widersprüchliche Bewegung des Sprechens dreht sich auch dieses Stück. Um  unvermeidliches Gefangenbleiben in der Geschichte, um biotechnologischen Fortschritt, der die Menschen befreien will und sie zugleich in Unmenschlichkeit verstrickt. Das alles gärt in dem schönen hässlichen Bühnenmüll, aus dem eine seltsame Alte auftaucht, überladen mit Jahresringen und Zeitfetzen wie die Königin aller Restposten. Geschniegelte Kellner treten hinzu, bedienen und verhöhnen sie und spielen dann Krieg. Dagegen will die Alte „etwas ausbrüten“. Ein Kind, süß und weiß wie Schlagsahne.
         Janina Szarek, die Regisseurin und Mitbegründerin des „Teatr Studio“ spielt diese widersprüchliche Alte mit viel Bioenergie. Eher schon zelebriert sie sie. Lasziv, raumgreifend  schwebt sie auf einer Schaukel über der Bühne und beschwört die Kraft ihres Bauches. Szarek sprudelt in Mutter-Mythos, während sich ihre jungen Schauspielerkollegen als groteske Statistikfiguren um sie herum bescheiden. (…)
       Es entfalten sich auch hier Bilder von subtiler Kraft. Die aus dem Müll aufzuckenden Arme erinnern an beides: im Gedächtnis erwachende Tote und in der Gegenwart erstickende Lebende. Eine Neugeburt der  Reinheit gibt es nicht. Es gilt, weiter zu brüten und das „Teatr Studio“ gebiert hoffentlich noch viele solcher polnischen Entdeckungen.