„Eine alte Frau brütet“

RBB – RADIO  –  MULTI – KULTI – Brandenburg, 4 . Juni 2008, Felieton NR. 14

  „Eine alte Frau brütet“– von Tadeusz Różewicz im Teatr Studio am Salzufer
Brigitta Helbig–Mischewski

    „Der Tag der Mutter“ ist schon längst hinter uns, und ich denke dennoch stets über die Mutter, denke über eine alte Frau nach. Der deutsche Psychoanalityker Hans-Joachim Maaz; hat über die Mütter ein faszinierendes Buch geschrieben: „Der Lilith-Komplex“– es sollten deutsche und polnische Mütter in es hineinschauen. Maaz ist überzeugt, dass wir in einer Kultur leben, die von einem Defizit gezeichnet ist, einer Kultur, deren Prototyp auf der einen Seite die entkörperte Maria und auf der anderen die dem Adam; untergeordnete Eva ist. Wir haben aus dem Archetypus der Mutter den Aspekt Lilith verdrängt, der ersten Ehefrau von Adam, die nicht aus seinen Rippen, sondern wie er aus Lehm geschaffen worden ist. Die Erniedrigung der Frau, die in den Überlieferungen von Adam und Eva verewigt wurde, führte zum Triumph des Patriarchats und der Allwesenheit von Gewalt in unserer Welt, mit der Entwertung solcher Erscheinungen wie; Emotionalität, Intuition, Körper, Tod und der Folge rücksichtsloser Exploitation der Erde und einer Umstellung der Einstellung der Menschen auf Kampf und Töten. Man spricht heute viel darüber in „gender studies“.

     Nur wenige wissen, dass schon in den 60-er Jahren darüber Tadeusz Różewicz in seinem Stück „Eine alte Frau brütet“ schrieb. Man kann sie, die alte Frau, aktuell im Berliner „Teatr Studio am Salzufer“ sehen mit Janina Szarek, die auch Regie führte, in der Hauptrolle.
In diesem apokalyptischen Stück zeigt Różewicz die Erde als eine Landschaft nach militärischen und ökologischen Katastrophen. Janina Szarek spielt mit großartiger Ausdruckskraft die Alte, die das Patriarchat für eine Besessene halten würde. Sie spielt sie, die die Mutter Erde symbolisiert und über den Sohn brütet, der die Welt erlösen könnte. Ein Sohn, der schöpferisch und sensibel ist und keine Gewalt kennt.

      Die Alte bildet eine Art von Kontrapunkt zu Jesus Mutter Maria, die ein Instrument in den Händen Gottes war. Anders als Maria ist die Alte sehr körperlich, fast animalisch. Ihre Körperlichkeit, Sinnlichkeit aber ist voll vergeistigt. Geist und Körper bilden hier keine widersprüchlichen Werte, sondern sie durchziehen sich völlig, leben im Einklang. Die alte Frau kennt keine Hemmungen, was ihren Körper betrifft. Sie erlaubt es nicht, ihn zu instrumentalisieren, um aus ihm ein Objekt oder eine Art sexuellen Gegenstand zu machen wie auf der Bühne erscheinende junge Frauen–Püppchen, die irgendwann zu jammernden, kleinbürgerlichen Hexen werden. „Die Alte“ hat Kontakt mit ihren eigenen Emotionen, mit der Erde, der Materie, dem Schmerz. Die jungen Männer , die in dem Stück erscheinen, fürchten ihre alle Konventionen sprengende vitale Kraft, und sie – unprätentiös und nicht ohne Humor – weiht sie in die Erotik und Gefühlssphäre ein. Der Alten macht es nichts aus, dass sie in einer Kultur lebt, die die Jugend apotheotisiert und Alt-sein und Tod tabuisiert. Sie sitzt nicht vor dem Spiegel, quält nicht ihren Körper mit kosmetischen Operationen. Sie schwingt auf einer großen Schaukel und lässt sich nicht kastrieren. Sie gebärt noch an der Schwelle des Todes ein neues Leben. Sie ist frei.