“Frühlings Erwachen”

BERLINER MORGENPOST, 27.03.2004;

FRÜHLINGS ERWACHEN

Europa rückt zusammen. In Charlottenburg hat Berlins erstes deutsch-polnisches Teatr Studio eröffnet.
Uwe Sauerwein

Beharrlichkeit zahlt sich manchmal aus. Nein, die Rede ist hier nicht von Polens EU Beitritt. Obwohl, im Grunde genommen schon Deutsche und Polen rücken enger zusammen, man konnte es kürzlich bereits; körperlich spüren. Bei der Eröffnung des Teatr; Studio, der ersten; deutsch-polnischen Bühne in Berlin, reichten die Plätze nicht für alle Interessenten aus. Dass solch eine Einrichtung politisch gewollt ist, zeigt schon die Anzahl der prominenten Grußworte.
Trotzdem hat es fast vier Jahre gedauert, bis die Internationale Theatergesellschaft Berlin im Gewerbehof; am Charlottenburger; Salzufer; den Spielbetrieb aufnehmen konnte. Vorsitzender und Spiritus Rector der Initiative ist Olav Münzberg, Honorarprofessor; an der Universität der Künste. „Man sollte sich wieder an die polnische Sprache gewöhnen, jeder zehnte Berliner hat einst polnisch gesprochen“, meint Münzberg, der in Gleiwitz geboren wurde. „Was mit Frankreich möglich war, müsste auch im Verhältnis mit Polen zu schaffen sein“.
Mehr als 150.000 Polen sollen in Berlin leben. Münzberg schätzt, dass es nach dem 1. Mai; wesentlich mehr werden, zumindest aber die Zahl der Berlin-Besucher aus dem Nachbarland sprunghaft zunimmt. Auch für sie soll das Teatr Studio; eine Anlaufstelle werden, obwohl die Bühne keine sprachliche Enklave ist. Man spielt polnische Dramatiker , aber ausschließlich auf Deutsch. Noch. später will man eine Mischung wagen. Das Ensemble rekrutiert sich aus der; theatereigenen Transform Schauspielschule, an der zu 80 Prozent deutsche Schüler unterrichtet werden. Mit welchem; Erfolg, das beweist die erste Inszenierung, bei der die jungen Darsteller; vom Premierenpublikum auf offenen Szene; lautstarke Zustimmung erhielten.
Bis Juni noch soll „Die weiße Ehe“ gespielt werden.; Das Stück von Tadeusz Różewicz handelt vom Frühlingserwachen; zweier junger Mädchen in einer verlogenen, vom dumpfen Trieb dominierten Erwachsenenwelt, zeigt das Verfangensein des Menschen innerhalb der Biologie und der Geschichte.. Die Frage, ob sich ein Stück, das derart pessimistisch mit dem Prozess der Liebe, der Pubertät, der Sexualität und dem Familienleben umgeht, heutige Jugendliche noch anspricht, rückt angesichts der beeindruckenden Schauspieler und den Einfällen des Regieteams in den Hintergrund.
Janina Szarek hat das Stück inszeniert. Sie war in Polen bekannte Schauspielerin und Regisseurin, wurde mit Preisen der polnischen; Theaterkritik geehrt. Dann kam der große Bruch, die Verhängung des Kriegsrechts durch Jaruzelski und 1981 die Flucht nach Berlin.
Dass die pantomimischen Elemente in ihrer Inszenierung an legendäre; Aufführungen des; Teatr Kreatur erinnern, ist kein Zufall. Choreograf Dzidek Starczynowski und Bühnenbildner Andre Putzmann arbeiteten einst für Andrej Woron Truppe. Janina Szarek zählte zu den Mitbegründern des Kreuzberger Theaters, bevor sie sich mit Woron überwarf. „Viele Regisseure in Polen haben eine Ausbildung in bildender Kunst oder Erfahrungen mit Film“, erklärt; Olav Münzberg die Tendenz zu dieser optischen Kultur.
Kontakte nach Krakau gibt es, zum Stary –Theater und dem dortigen Goethe-Institut. Vielleicht wird man dort „Die weiße Ehe“ präsentieren. Im Vordergrund steht jedoch nach wie vor die staatlich anerkannte Ausbildung der jungen Schauspieler. Zwei Klassen mit jeweils zwölf bis 14 Schülern werden derzeit unterrichtet, im August soll eine weitere Klasse eigerichtet werden. „Erst dann sind wir wirtschaftsfähig“, so Münzberg, der als Vorbild des Theaters die Schaubühne in ihren jungen Jahren angibt. Wer das vor Energie strotzende Ensemble erlebt, empfindet das nicht mal als Anmaßung.

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