„ICH LIEBE UND HASSE“

AKCENTY, Berlin, Nr 23 – Juni 2006

„ICH LIEBE UND HASSE“  – Olga Doleśniak

Janina –Szarek  und Olav Münzberg haben guten Grund, sich zu freuen und stolz zu sein. vor kurzem sind zwei Jahre vergangen, seit dem das „Teatr Studio am Salzufer“ die Berliner Bühne betreten und es verstanden hat, in derer multikultureller Landschaft Platz zu nehmen.

Der Erfolg eines Theaters, das sich zum Hauptziel gesetzt hat, Deutsche und Polen näher zu bringen – und in der Praxis zieht es nicht nur Publikum aus deutsch-polnischen Kreisen an  – ist nicht nur Bestätigung dafür, dass Berlin ein  Theater solcher Art braucht, sondern auch ein Beispiel dafür, dass Träume von Menschen in Erfüllung gehen können. Man kann nicht mit Gleichgültigkeit auf das Werk des interessanten Duo: Szarek – Münzberg reagieren, besonders wenn es der Plattheit und Hoffnungslosigkeit der Konsumgesellschaft  – hauptsächlich von den Medien verkörpert – Widerstand leistet und in ihrer Werkstatt immer attraktiver werdende Leckerbissen aus dem europäischen Drama anbietet.
Im „Teatr Studio“ gab es Witkacy, gab es Różewicz  – zuerst geistig und dann durch seinen Besuch auch körperlich – und jetzt ist an der Reihe Alexander Gelman. Dessen in die Sprache des Theaters übersetztes Filmszenar legte einen frischen und sehr lebendigen Akzent auf das Jubiläum: „Zwei Jahre Teatr Studio am Salzufer“. Auch wenn Witkacy und Różewicz auf den Brettern einer deutsch-polnischen Bühne eine Selbstverständlichkeit sind, so bricht das Stück  des russischen Dramatikers in sichtbarer Weise diese Konvention und gibt auch Autoren außerhalb dieses ursprünglich angenommenen Kreises grünes Licht. Warum sollte man auch nur aus zwei Quellen schöpfen, wenn hinter jeder Ecke  ein Geysir neuer Inspiration wartet, der bereit ist, auf der Bühne zu explodieren, begleitet von großem Applaus.
 Theater ist und sollte auch ein Ort kühler Experimente sein, deren Breite und Stärke zu allem anderen führen kann: nur nicht zu Langeweile. Und diese kann selbst der größte Malkontent und Meckerer dem Autor Gelman nicht vorwerfen. Denn wenn „Die Bank“ – in deutscher Übersetzung „Zwei auf einer Bank“ – mit spannungsloser Länge  und Bla Bla gesündigt hätte, hätte sie niemals Anerkennung gewonnen, die viele Regisseure wie Maciej Wojtyszko in „87“ und vor drei Jahren Z. Zapasiewicz ihr ausgesprochen haben. Wir erinnern uns, dass das Stück in den 80-er Jahren nicht nur auf den polnischen Bühnen triumphierte und bis heute triumphiert, wovon das neueste Beispiel die Übertragung des Dramas auf die Großleiwand von Maciej Zak im Jahre 2004 ist.
Worin besteht der Zauber von „Ławeczka“ – „Zwei auf einer Bank“ – und was brachte viele große Schauspieler wie Gajos und Zolkiewska dazu gerade dieses Stück zu wählen, in die innerlich zerrissenen Figuren zu schlüpfen, in die Rollen von Lebensschiffbrüchigen, die zwischen Jagd nach Liebe und der Erfahrung von Ablehnung hin und her pendeln?
   „Zwei auf einer Bank „ auf einer leeren Bühne. Jemand schläft auf der Bank. Hinter der Lehne erscheinen der Reihe nach  Frauen, jede von ihnen einmalig und zugleich in ihrer Pose, Kleidung, Haltung und Stellung gewöhnlich. Sie wütend auf der Bühne  wie die Hexen in der Walpurgisnacht und erzwingen wie die Nachtgeister in dem berühmten Bild Coppolas aggressiv die Aufmerksamkeit von dem in Schlaf versunkenen Mann. Nach einer Weile stürzen sie sich vielleicht in einem Akt vampirischer Exstase auf ihn und zerreißen ihn wie wilde Tiere in Stücke. Aber nein, dazu kommt es nicht, weil der Schlafende aufwacht. Alles ist nur ein Traum gewesen. Wie gut, dass es nur ein Traum ist. Es verschwinden das Lolittchen, die bussines-woman usw. in der abendlich frischen Luft und auch der Vamp löst sich auf. Vogelzwitscher und erste Sonnenstrahlen bringen den im Park schlafenden „Obdachlosen“ auf die Beine und plötzlich erscheint  SIE – kühn, unerwartet , erotisch provokant und bietet ihm Feuer, worauf er mit der hyperaktiven Haltung  eines Don Juan reagiert, dieses Tierbändigers weiblicher Herzen.
     Die Handlung nimmt an Tempo zu. Starker Gestus und expressive  Körpersprache dieser beiden Unbekannten halten den Zuschauer in permanenter Spannung. Deren Wortgefecht erfährt im Lachen aus dem Zuschauerraum eine Art Echo. So wie irgendwann „Iwan Bezdomny“ (Iwan Obdachloser ), wie in dem Roman „Meister und Margarita“ von Michal Bulgakow, so sitzen ER und SIE jetzt auf der Bank, zwar nicht auf der des Patriarchen Prudy, aber doch in Moskau, wo es an „Bänkchen“ nicht fehlt. Jeder findet etwas für sich. Auf der Bank also, einmal in enger Umarmung, ein anderes Mal einander den Rücken zugekehrt, sitzen die Unbekannten, schon nicht mehr im jugendlichen Alter, und warten darauf, dass sich „die Dinge  zu ihren Gunsten wenden“: Er und Sie. Ja, dass sie sich nicht schon einmal irgendwo getroffen haben, zufällig. Er habe sie mit seinem Besuch beehrt, aber sei, als sei es ein Komplott, für immer aus ihrem Leben verschwunden. Aber nein, ER würde sich nicht so benehmen. Sie habe ihn bestimmt mit jemandem anderen verwechselt. ER sei doch nicht so…Hm….oder vielleicht doch?
„Zwei auf einer Bank“ gibt eine bescheidene Antwort auf große Fragen. Und selbst das Finale kann man, ja muss man als ein großes Fragezeichen begreifen. Die beiden Figuren warten bei Gelman  immer noch auf irgendein Wunder. Jede will aus ihrer Sicht das Richtige tun, aber ihr jeweiliges irrationales Handeln hat zur Folge, dass sie Millionen Lichtjahre von dem entfernt ist, was man für das Glück, für Erfüllung und für Liebe halten könnte. Weitere Wortgefechte, Jammern und Versuche, den anderen einzuschüchtern, führen zu keinem befriedigenden Ergebnis. Auch der Versuch, sich näher zu kommen, erinnert in diesem Fall eher an einen Ringkampf als eine erotische Exstase. Wie hat das schon treffend Strindberg gesagt : „Liebe ist das sublimierteste Gefühl von Besitz. Und Eifersucht: ist nichts anderes als die Befürchtung, das zu verlieren, was man besitzt“. Nur wie sollte man etwas in Besitz nehmen , was krampfhaft verteidigt, den „Besitzer“ zu wechseln? Hat es irgendeinen Sinn, jemanden zur Liebe zu zwingen? Ist es möglich, Erfüllung der Liebe zu erreichen, dadurch dass man den Liebespartner zu etwas zwingt? Die Helden des Stückes kehren in ihren Kokon zurück, einsam und ängstlich. Jeder versucht auf seine Art, den leeren Raum in seiner kleinen Welt mit etwas zu stopfen, was ihm seine Angst vor Ablehnung vergessen lässt, ebenso seine Komplexe und sein misslungenes Leben. Die Bank wird für sie zum Ort der Begegnung und Flucht, zur gemütlichen Lebensecke, zum Beichtstuhl als Ort des Sprechens.
Auf der Bank gerade erfahren sie weitere Etappen zur Wahrheit zu reifen, Etappen sich davon zu entfernen, „was angenehm sein kann“ zu dem, „was Wahrheit ist und sein kann“.
Der Ort des Dramas ist unwesentlich. Die Bank könnte in jedem anderen Park, in jeder anderen Stadt stehen: unter Berliner, Warschauer oder Londoner Himmel. Gelman hat nicht eine weitere pure Vivisektion der russischen Seele geschaffen. Er bediente sich nicht clichehafter, ausgelutschter Bilder des Sozialismus. Deshalb hat diese Geschichte der beiden Einsamen im Park einen universalen Schliff gewonnen. Beweis für dessen Nützlichkeit ist die Häufigkeit, in der das Stück inszeniert wurde und die Sympathie des Publikums, das in dem Leben dieser zweier fiktiven Figuren ihre eigenen realen Probleme wiedererkennt. Letztendlich erinnern die weiblich-männlichen Relationen selten an billige Romanzen mit Happy-End. Und: nicht immer kann man bekommen, was man will. Sie – als Figur des Dramas – hat es begriffen. Aber ob sie die Hoffnung verloren hat, das verrät Gelman nicht.
Es wäre eine große Taktlosigkeit, nichts über die Schauspieler zu sagen. Deren Darstellung der Figuren macht wirklich einen großen Eindruck. Ibadete Kadrijaj und Karsten Zinser, Studenten der Transform Schauspielschule, haben sehr professionell, mit Temperament und Leichtigkeit die ihnen anvertrauten Rollen verkörpert und dadurch die Inszenierung besonders lebendig gemacht. Man kann sagen, dass sie dem Publikum den Querschnitt universal  weiblich-männlicher Verhaltensweisen fundiert gezeigt haben: grotesk, grell, aber mit Charme und überzeugend.   
                        Übersetzung: Janina Szarek / Olav Münzberg