DIALOG- Zeitschrift für Theater in Polen, Nr 4, April 2004
„Man spielt uns“ („Grają nas“) – „Die weiße Ehe“ in Berlin
Justyna Golinska
„Berlin hat ein neues Theater. Ein kleines, in einem der verschachtelten Gebäudekomplexe des Salzufers auch arg verstecktes, aber ein besonderes“. So beginnt der Artikel von Christoph Funke im „Tagesspiegel“ vom 3.03.2004., der die Premiere der „Weißen Ehe“ von Tadeusz Różewicz beschreibt, die man zur Eröffnung der deutsch-polnischen Bühne in der Hauptstadt der Bundesrepublik inszeniert hat, nämlich zur Eröffnung des „Teatr Studio“
Alles begann mit der Gründung der Internationalen Theater Werkstatt (ITW) Berlin durch Janina Szarek und Olav Münzberg, die wiederum zur Grundlage für die Gründung der Transform Schauspielschule im Jahre 2002 geworden ist. Die Schule hat den Status einer staatlich anerkannten Privatschule und bildet professionelle Schauspieler für deutsches Theater, Film und Fernsehen aus. Die Ausbildung basiert vor allem auf den Methoden von Stanislawski, Michail Tschechow und Grotowski. Sie dauert dreieinhalb Jahre, wobei die beiden Gründer der Schule von Anfang der Meinung waren, dass die Studenten die Möglichkeit bekommen sollten, sich während ihres Studiums auf einer echten professionellen großen Bühne zu testen, eben auf der Studiobühne des deutsch-polnischen Teatr Studio.
Die größte Bewunderung verdient hierbei die Ausdauer, der Elan und die Überzeugungskraft von Janina Szarek, die zur Entstehung des Theaters geführt hat. Sie studierte Polonistik an der Jagiellonen Universität und ist Absolventin der Krakauer Theaterhochschule im Fachbereich Schauspiel. Sie war viele Jahre hindurch Schauspielerin des Krakauer STU Theaters und der Staatlichen Theater in Breslau. Sie arbeitete u.a. mit Alina Obidniak, Jerzy Grzegorzewski, Krystian Lupa und Henryk Tomaszewski. Seit dreiundzwanzig Jahren wohnt und arbeitet sie in Berlin, wo sie sich hauptsächlich mit Schauspielpädagogik beschäftigte. Sie begann im Transformtheater von Henryk Baranowski, arbeitete dann auf eigene Rechnung im eigenen Schauspielstudio „Gruppe 44“, davon überzeugt, dass „viele Menschen – sogar aus der Branche- wenig Ahnung darüber haben, welche Qualität das polnische Theater besitzt“. Es unterscheidet sich nämlich von anderen u.a. durch eine besondere Art der Reinheit, durch emotionelle Frische und zugleich einen Ausdruck von Einfachheit, letztere in einem positiven, geradezu edlen Sinn. Dazu kommt noch diese unsere „polnische Unruhe“ („Breslauer Zeitung“ vom 20.05. 1994). Ihre jungen Schauspieler wurden von Krystian Lupa, der während des Festivals „Eurodrama 2002“ des Teatr Polski in Breslau eine Theaterwerkstatt leitete, als die am besten vorbereitete und am meisten kreativ arbeitende Gruppe beurteilt. Damit die deutsch-polnische Studiobühne entstehen konnte, hat sie zusammen mit Olav Münzberg – Professor, Schriftsteller und Lyriker – sehr intensiv gearbeitet und darum gekämpft. Teilweise ist es gelungen, deutsche Sponsoren zu gewinnen und von polnischer Seite die Schirmherrschaft des polnischen Botschafters zu bekommen. Die Gratulationsbriefe, die sich im Programmheft zur „weißen Ehe“ befinden – beginnend mit den Wünschen des Bürgermeisters der Stadt Berlin – Klaus Wowereit bis zu Gratulationen von Bundestagsabgeordneten – sprechen allein für sich. Tadeusz Różewicz als auch der Übersetzer des Dramas ins Deutsche, Henryk Bereska, haben auf Tantiemen verzichtet.
Janina Szarek hat die Szenen der „Weißen Ehe“ im Rahmen ders Schauspielunterrichts mit den Studenten vorbereitet. Ich habe einzelne von ihnen gesehen. Sie wurden in den Räumen am Salzufer als Prüfung u.a. des ersten Jahrganges entwickelt. Sie waren wirklich sehr gut und von sehr hohem Niveau. Eigentlich sollte ich Christoph Funke aus dem „Tagesspiegel“ wiederholen, dass das, was am stärksten diese Aufführung prägt, das sichtbare emotionelle Engagement der jungen Schauspieler sei.
Maria Debicz, Chefdramaturgin von „Teatr Polski“ in Breslau und Kennerin der Rezeption des Werkes von Różewicz sagt: „Als ich mich in das Segment des amphiteatralen Zuschauerraums des „Teatr Studio“ gesetzt hatte – der Raum hat keine von Publikum getrennte Bühne, die erste Reihe des Publikum befindet sich auf der Ebene des Spielortes – hatte ich den Eindruck, dass ich mich in einem Off-Theater der sechziger Jahre befinde. Mir ist das Berlindebüt von Różewicz mit dem Stück „Die Karthotek“ aus dem Schiller Theater aus dem Jahre 1962 in den Sinn gekommen. Ebenso: die heutige Premiere der „weißen Ehe“ findet über zwanzig Jahre nach der ersten Inszenierung des Dramas am Deutschen Theater statt. Rolf Winkelgrund hatte es erfolgreich im Jahre 1980 inszeniert – es blieb elf Jahre im Repertoire. „Die weiße Ehe“ wurde in Deutschland seit 1978 gespielt – so in Rudolphstadt in der DDR, dann auch in Münster, München, Weimar, Dresden und in Brandenburg.
Wie ist nun die Inszenierung von Janina Szarek? Vor allem ist zu sehen und zu spüren, dass die Regisseurin sehr aufmerksam mit dem Stück umgegangen ist, was für den Autor immer wichtig ist, und dass sie es mit den Schauspielern genau analysiert hat. Dabei ist ihr klar geworden, dass der ganze historisch-literarische Kontext – das ganz Junge Polen: Maria Komornicka, Narcyza Zmichowska – dem deutschen Publikum weitgehend verborgen bleibt. Die Regisseurin hat mit Absicht die Probleme junger Menschen – Reifungs- und Verständigungsprobleme mit der Erwachsenenwelt – in den Mittelpunkt gestellt. Sie betont die Einsamkeit, Entfremdung und den Widerstand, sich herrschenden gesellschaftlichen Normen und Erwartungen der Familie anzupassen. Im Programmheft erwähnen die Regisseurin und Olav Münzberg die Tragödie in Erfurt, wo ein Schüler Mitschüler und den Lehrer erschossen hat und dann Selbstmord beging. „Ist dies nicht ausreichend Ursache, dass wir Erwachsene aufmerksamer über die Probleme junger Menschen nachdenken sollten?“ – fragt Olav Münzberg.
Tadeusz Różewicz sagt, dass „Die weiße Ehe“ gleichzeitig nicht nur eine Tragödie , sondern auch Komödie ist, Daraus hat Janina Szarek die Konsequenz gezogen und für die Inszenierung die Form einer Komödie mit Tiefe, die Form einer reflektierenden Komödie gewählt. In diese Richtung sind auch die jungen Darsteller gegangen. Man kann aber auch in der Inszenierung ein wichtiges Motiv finden, das der Autor betont: das des Konfliktes, des Widerspruchs, des Streits und Zusammenstoßes zwischen Eros und Thanatos. Deshalb tragen auch im Teatr Studio die Schauspieler in der Szene der Hochzeitsnacht Bianca zum Hochzeitsbett auf den Schultern wie bei einem Begräbnis zum Grab. Diese Szene wird von Musik begleitet, in der sich ein Hochzeitmarsch mit einem Trauermarsch vermischt. Es gibt hier nicht – wie so oft in anderen Inszenierungen gesehen – exponierte Phalli und einen nackten Benjamin. Und: in der Picknickszene im Wald versucht Paulina Bianca mit einem nicht allzu großen Pilz zu provozieren.
Die Umstellung des Handlungsplanes von einem Realgeschehen in einen Traum oder Phantasiegeschehen erraten wir ohne Probleme aus der Spielweise der Schauspieler. Naturalismus im Bühnenbild und übertriebene Wörtlichkeit werden ausgespart und sind überhaupt nicht notwendig. Als Symbol und Objektivität immer wieder subjektiv ins Groteske verzerrender Spiegel, also für die immer wieder auftretende Obsession Biancas sind sich wiederholende Auftritte bzw. Erscheinungen des Vaters mit dem Kopf eines Stieres, der über die Bühne stürmt, präsent. Das Ganze hat einen klaren, intensiven Rhythmus, als ob alle Geschehnisse auf ihr einer Beschleunigung unterliegen.
Eigentlich alles ist hier unglaublich mobil, beginnend mit der Dekoration – das gute Bühnenbild ist von Andre Putzmann -, die sich ständig und momentan ändert. Z.B. in der Szene, in der die Teilnehmer des Familienmahles mit dem gedeckten Tisch vor das Publikum fahren.
Ähnliches geschieht im Ton- und Klangbereich. Dieser ist nicht genau definierbar. Es verschmelzen Geräusche von Essen, Gesprächen, klirrendem Besteck mit einzelnen Klängen und verbinden sich mit und zu banalen musikalischen Motiven. Sie wachsen als deformierte, quälende Kakofonie in Biancas Kopf. Diese Geräusch- und Klangbegleitung von Michal Talma-Sutt ist ein wichtiges Element dieser Inszenierung, obwohl sie niemals den Dialog dominiert, selbst dann wenn sie hin und wieder zwischen mehreren Szenen in diesem Spektakel kurz und aggressiv das Geschehen an sich reißt. In gewissen Momenten scheint es sogar, als ob sie die Schauspieler inspiriert und ihnen emotionell den Kick gibt.
Vielleicht hat man auch deswegen den Eindruck, dass diese Inszenierung unheimlich spontan und vital ist. Es strahlt von ihr eine außergewöhnliche Energie aus.
Bei der Premiere erklang sehr oft Beifall. Einen großen Beitrag hierfür leisteten die zwei Hauptheldinnnen: Jana Hoffmann (Bianca) und Vanessa Rose (Paulina) als auch Henryk Bereska, der seit Anfang der siebziger Jahre die Dramen von Różewicz übersetzt. Er spürt großartig der Sprache des Autors nach und hat eine ihr äquivalente Sprache im Deutschen gefunden. Und die Regisseurin, die beide Sprachen kennt, hat bei der Inszenierung der Dialoge nicht das Geringste an Komplexität, Klima und Atmosphäre verloren.
Die Berliner haben wenig Ahnung vom polnischen Theater, obwohl sie Nachbarn sind. Die in Berlin wiederum lebenden Polen bilden vermutlich keine ausreichend große, für Theater interessierte Gruppe. Der Versuch wäre zu riskant, ein Theater nur für sie zu gründen. Auch deshalb spielt man auf Deutsch im Teatr Studio und die Transform Schauspielschule besuchen zur Zeit hauptsächlich deutsche Studenten. Sie trainieren aber an polnischer Literatur unter den Augen auch polnischer Pädagogen.
Nach vielen lobenden Rezensionen , die die Regisseurin Janina Szarek 1999 für ihre Inszenierung des Stückes von Witkiewicz (Witkacy) „Im kleinen Landhaus“ bekommen hat und jetzt mit der Inszenierung von „ Die weiße Ehe“ kann man mit Fug und Recht diese Bühne als eine der besten Ideen und Orte in Deutschland ansehen, die für das polnische Theater und die polnische Kultur Reklame machen.
Übersetzung: Janina Szarek / Olav Münzberg