„POLEN AM SALZUFER“

„DIDASKALIA“ – THEATERZEITSCHRIFT, Krakau, April 2008, Nr 84, S. 112 f

„POLEN  AM  SALZUFER“  – Tadeusz Kornaś

„ (…) Die Wehklage beginnt auf polnisch : „ Synku… Synku““ (Söhnchen) und diese Worte werden gleich danach auf deutsch wiederholt. Sie sind wie eine Klage der Trauer nach dem verlorenen Kind. Szarek spricht diese Worte mit tiefer Stimme, sie klingen wie eine schmerzhafte Erinnerung eines längst vergangenen, glücklichen Lebens. Sie werden zur Einführung , zur unbestimmten, schmerzhaften Erinnerung. Erst in zweiter Linie sind sie gleichsam als Ruf an die Kellner gerichtet.

Die „Cafészenen“ im ersten Teil der Inszenierung: das ist ausgezeichnetes, allerfeinstes Schauspiel  von Janina Szarek, Spitze der Schauspielkunst. Die beiden Kellner, der Arzt und die Mädchen sind nur  Partner, die ihrem Spiel sekundieren. Das auf der Bühne gezeigte Bild der Zeitwende ist ebenso sehr grotesk, irreal wie tragisch. Der Zerfall der existierenden Welt  dauert immer noch an oder ist schon vielleicht vollendet.

     Es überschneiden sich in dieser Vorstellung drei verschiedene Perspektiven. Die eine betrifft  die schmerzhafte Vergangenheit, den Verlust des Söhnchens , vielleicht den Krieg. Sie enthält eigentlich mehr Vermutungen und Ahnungen als konkrete reale  Bedeutungen. Die zweite verweist auf die gegenwärtige reale Welt, auf typisches Verhalten und unwillkürliche Reaktionen der die Figuren spielenden Schauspieler. Schließlich die dritte Perspektive – sie besteht  aus der traurigen  Vision  einer verwilderten Zukunft: die Welt als Müllhaufen, wo Gleichgültigkeit für das Schicksal des Menschen vorherrscht.

(…) Das Spektakel endet mit der Klage der Mutter: „ Synku – Söhnchen.“ In dem einen Wort trifft sich wieder der Schmerz aus verschiedenen Zeiten und Ordnungen. (…)  Es ist in der Tat so , das Teatr Studio tendiert hier in eine andere Richtung als die Mehrheit der gegenwärtigen Bühnen in Berlin, es ist hier  – und das entspricht eigentlich  den Vorstellungen der Autoren vom Schauspiel  – mehr vom psychologischen Spiel und von Atmosphäre , aber gleichzeitig sind die Schauspieler zu einer Distanz gegenüber den gespielten Rollen fähig. der komplizierte Text des Dramas trifft auf den erkennbaren Enthusiasmus der Schauspieler, der andererseits durch das beabsichtigte Grau der Form niedergedrückt wird. Eine solche vielschichtige Konstruktion, in der Form und Vitalität, Reife und Jugend aufeinander stoßen, führt zu der interessanten Wirkung : der Uneindeutigkeit der dargestellten Welt. Das  Publikum hat die Aufführung mit großem Applaus  aufgenommen. (…)

Janina Szarek und Olav Münzberg haben kühne Zukunftspläne. (…) Ihre Idee der Promotion des polnischen Dramas ist ausgezeichnet. Wenn die deutschen Bühnen sich nicht für die polnischen Stücke interessieren, dann soll man versuchen, sie in eigenen interessanten Aufführungen zu zeigen. Die Methode der kleinen Schritte bringt manchmal mehr Nutzen als einmalige, lautstarke Aktionen. (…) Der Weg der deutsch-polnischen Bühne, die hier Basisarbeit leistet, ist sehr interessant und ihr gebührt Hochachtung.