„POLEN UND WIR“

„POLEN  UND  WIR“ , Bonn, März 2007

„EINE  ALTE  FRAU  BRÜTET“  – Christiane Thoms

Die 1999 von Janina Szarek und Prof. Münzberg gegründete deutsch-polnische Studiobühne „Teatr Studio am Salzufer“ in Berlin entdeckt den polnischen Lyriker, Dramatiker und Erzähler Tadeusz Różewicz wieder und bringt ihn auf die Bühne. Zahlreiche Übersetzungen in viele Sprachen haben Różewicz weltberühmt gemacht. Als Träger vieler nationaler und internationaler Preise gilt er in vielen Ländern als Dichter mit großer moralischer Autorität. Sein avantgardistisches und groteskes Endzeitdrama „Eine alte Frau brütet“ überlässt es der Frau, einen hoffnungsvollen Ausgang aus der apokalyptischen Sackgasse zu finden.

Als aufmerksamer Beobachter der gegenwärtigen Erscheinungsformen menschlicher Grausamkeit wagte der 1921 geborene Różewicz schon 1968 mit seinem Drama „Eine alte Frau brütet“ den Versuch , den weltweit operierenden Kapitalstrukturen und den absehbaren gesellschaftlichen Verhältnissen entgegenzusteuern. Różewicz schrieb das Stück in einer Zeit, als weltweit gegen den Vietnamkrieg protestiert wurde, als die Studentenbewegung gegen kapitalistische Bereicherungsgier und Borniertheit auf die Straßen ging.
           Subtile und albtraumartige Bilder vom Müllplatz der Geschichte leben in der Gegenwart weiter. Aus genau dieser zeitlos und hoffnungslos  scheinenden Zeitmaschinerie taucht eine alte unersättliche Frau auf, aus der das Leben sickert.
           Die Regisseurin und Dramaturgin Janina Szarek spielt, von einer Besessenheit befallen, diese im Mutter-Mythos schaukelnde Alte und lässt in ihrem warmen Bauch die Menschheit pulsieren. Große weiße Poeme, Schlagsahnebabys sollen in ihrem Schoße reifen, der eine prächtige Landschaft zeigt. Den wie eine Kriegstrommel gespannten Bauch sollte man international schützen lassen, fordert die in Zeitfetzen gehüllte Alte mit lasziver Stimme.
           In der pathosarmen Poesie  entdeckt man schmerzliche Wahrheiten: Kriege, Müllschlamm, Stacheldraht-Barrieren, atomare und biologische Zerstörungen , Hungerkatastrophen, Klimawandel, Gleichgültigkeit. Die Herausforderungen des menschlichen Schicksals und die Situation der Nation als Bühnenkulisse definieren den allgegenwärtigen Geisteszustand als ethische Leere.

                                      SUCHE  NACH  RETTUNG

Das Brüten als fundamentale Tätigkeit hängt als Hoffnungsträgerin in der Schaukel und zeigt dem Publikum, wie vergeblich diese Rettungsaktion ist. Auch Gott hat scheinbar seinen Standort gewechselt; er wohnt jetzt im Kottlet, in der Zwiebelsuppe, in der brütenden Frau. Die  Jungs, die vorher noch die Frau im Bahnhofscafe bedient haben , spielen jetzt Krieg und in den Metropolen trinkt man inzwischen Klosettwasser; es ist kein Zucker und kein klares Wasser mehr vorhanden.
        „Różewicz setzt auf eine empörte, protestierende, letztlich tragische weibliche Figur, die gegen der Destruktivität der Männer und deren bisher ungebrochenen Macht- und Narzismuswahn vergeblich operiert“, so der Schriftsteller und Dramaturg Prof. Olav Münzberg.
        In den Werken von Różewicz sind die Protagonistinnen auf der Suche nach einer uralten Lebensordnung, die das nicht mehr aufzuhaltende und von Traurigkeit geprägte Schicksal der Menschheit doch noch zu retten versucht.

          SUCHE  NACH  NEUEN  POETISCHEN  AUSDRUCKSFORMEN

Różewicz, der Vorläufer der Avantgarde in Poesie und Drama, ist zwar sehr stark in der romantischen Tradition verwurzelt, hat aber eine  Aufsehen erregende neue Bewegung in der polnischen Literatur ausgebrütet. Die Unruhe, das Chaos und die übrig gebliebenen Worte auf der  Bühne, die als Müllhalde mal ein Bahnhofscafe und mal ein Strandcafe zeigt, signalisiert eine neue Art der szenischen Sprache. Der Fokus ist dabei auf die existentielle Mühsal als Kampf mit dem Nichts gerichtet.
      Różewicz auf der Suche nach neuen poetischen Ausdrucksformen strebt zu einer asketischen Schlichtheit. Diese Kürze seiner Sprache als Metapher menschlichen Lebens beschreibt er als einen Zustand „zwischen dem Akt des Geborenwerdens und dem Akt des Sterbens“. Diese Poesie ist der Raum dessen, was nicht mehr in Worte zu fassen ist .
     Różewicz kämpfte 1943 im polnischen Widerstand der Untergrundarmee gegen Nazi- Deutschland und ging als Überlebender, der nicht mehr leben wollte, da heraus. So sind seine Zeugnisse  sowie seine Literatur als Zeugenstand ein Akt solidarischer Verpflichtung den Opfern gegenüber, damit die Wahrheit über sie gesagt werde, frei von heroischen und sentimentalen Mythen. Różewicz erinnert sich, „dass er nur noch leben konnte, indem er das Dichten tötete – mit der Dichtung selbst“. In seiner „nackten Poesie“ , die sich gegen jede Verschnörkelung richtet, liegt auch das Geheimnis seines Weltruhmes begründet, der ihm mit seinem 1947  geschriebenen Gedichtband „Unruhe“ das erste Mal zuteil  wurde. Nach dem Motto: „Alles hat sich verändert und niemand sieht es“ skizziert uns  Różewicz beispielsweise in der Erzählung „Entblößung (1968) eine melancholische Parabel der Gegenwart.
       Różewicz ist ein Wanderer und Grenzgänger  zwischen den Welten in Ost und West. Die Rezeption seiner Texte war in Ost – und Westdeutschland immens. Im Osten passte seine Lyrik zur zeitgenössischen Verbannung expressionistischer Traditionen, im Westen begeisterte er die Gruppe 47 mit seiner kargen Sprache.
        Der Dramatiker Różewicz wendet sich seit den sechziger Jahren verstärkt zeitbezogenen Themen zu. Dabei wird ihm so manches Mal zu Recht vorgehalten, dass sich seine Moralität auf  Kosten historischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge durchsetze und er Konflikte auf existentielle Fragen reduziere.. Dass seine Werke dennoch für die polnische Literatur  von großer Bedeutung sind , „verdankt er der Tatsache, dass er befreiend in  Worte fasste, was während der Okkupation tausendfach wortlos erlebt und erlitten worden war“ , so Prof. Olschowsky. Der Motor dafür ist sein Verantwortungsbewusstsein und die Ernsthaftigkeit, mit der er nach den Menschen von gestern und heute fragt. Die aus dem Müll aufzuckenden Arme  lassen uns all die Toten und die gerade an Zeitgeist Erstickten erahnen.  

                 BERLIN  HAT  EIN  SOLCHES  THEATER  GEBRAUCHT

Der Ort, an dem „Eine alte Frau brütet“ könnte in jeder Stadt beispielsweise unter deutschem oder polnischen Himmel zu sehen sein . Nachdem es in Polen und im internationalen Ausland bisher über zwanzig unterschiedliche Aufführungen gab, ist das schöne „Teatr Studio“ ein sehr geeigneter Ort, an dem diese zwei Kulturen zu Wort kommen können, um nach den Schwierigkeiten der Vergangenheit einen gemeinsamen Weg zu gehen. Die Brisanz und Allgemeingültigkeit einer apokalyptischen Sackgasse berührt nicht nur eine Nation. Hier auf den Brettern der deutsch-polnischen Bühne rückt man der brütenden Frau als Symbol- und Hoffnungsträgerin ganz nah unter den Rock. Sie soll die rettende Kraft gebären. Die lustige und gefährliche Alte voll von Mythos balanciert und brütet auf dem Müllhaufen, der bei Różewicz Symbol der zivilisatorischen Katastrophe und dennoch des schöpferischen Chaos ist. Am Puls der Zeit sitzend, lassen einen die Alte und die Jungen, die Toten und die Lebenden unerschrocken an der Tragik der Unfruchtbarkeit teilhaben, denn eine Neugeburt gibt es nicht. Man selbst trägt diese Besessenheit der nüchternen Poesie mit dem Rhythmus des Lebens eine ganze Weile mit nach Hause. Kann sein, dass es uns die Sinne schärft.