POLEN UND WIR, Bonn, Februar 2010.
TEATR STUDIO deutsch-polnisches Projekt wird sechs Jahre alt – Karl Forster
Sechs Jahre ist beileibe kein großes rundes Jubiläum. Aber für ein solches Theaterprojekt doch eine beachtliche Zeit. Es war quasi ein kultureller Beitrag zum kurz bevorstehenden EU Beitritts Polens, als am 28. Februar 2004 das Theater mit der Premiere des Stückes „Die weiße Ehe“ von Tadeusz Różewicz in der Übersetzung von Henryk Bereska eröffnet wurde.
Różewicz und Bereska standen ohnehin quasi Paten für das neue Theater, dessen „Eltern“ Janina Szarek , die polnische Schauspielerin und Regisseurin, und Prof. Olav Münzberg, Schriftsteller und Kunst- und Kulturwissenschaftler, sind.
Das Besondere an dem 2004 entstanden Theater – schon 1999 gab es erste Vorläufe – ist die Kombination mit der „Transform Schauspielschule“. Diese Anfang 2002 in die Öffentlichkeit tretende staatlich anerkannte Schauspielschule hat in dem 1999 gegründeten Trägerverein, der „Internationale(n) Theater-Werkstatt Berlin (ITW) e.V.“, ihre Basis. Deren Ziel: i.b. in einen kulturpolitischen Dialog deutscher und vor allem polnischer Theaterleute zu treten und die Kulturen und Mentalitäten beider Länderr zu reflektieren.
Das Theater, das aus der Schauspielschule entstand, bietet den Schauspielschülern die Möglichkeit, ihr Erarbeitetes gleich in professioneller Weise zu präsentieren. Dabei ist das Teatr Studio eine besondere Form des polnischen Theaters, „wo der Mensch und die Darstellung des Schauspielers im Mittelpunkt stehen und wo das Publikum näher an das Geschehen rückt. Eine Form, die unkonventioneller, provokanter, suchender, ursprünglicher und wahrhaftiger ist.“ (ITW)
Janina Szarek studierte am weltberühmten Krakauer STU Theater. Anschließend war sie am Teatr Współczesny und am Teatr Polski in Wroclaw engagiert. Daneben war sie schon damals auch in London und Berlin tätig. Seit 1981 lebt sie in Berlin, wo sie unter anderen an der Berliner Volksbühne tätig war aber auch Film und Fernsehrollen annahm. Als Pädagogin und Regisseurin war sie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch , der Filmhochschule Konrad Wolf und an der Freien Universität tätig.
Prof. Olav Münzberg war unter anderem in der 80er Jahren Vorsitzender der Neuen Gesellschaft für Literatur (NGL), später Vorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) Berlin. An der Universität der Künste Berlin ist er als Honorarprofessor für Kunst- und Kulturwissenschaft tätig.
Das sechsjährige Bestehen feierte das Teatr Studio mit einem langen Abend. Zu Beginn wurde die beeindruckende Diplominszenierung 2009 der Schauspielschule „Ganze Tage – ganze Nächte“ des französischen Dramatikers und Drehbuchautors Xavier Durringer aufgeführt.
Mit minimalen Requisiten und quasi ohne Bühnenbild wurde in Fragmenten, Geschichtsteilen ein Puzzle von zufälligen Begegnungen erzählt, in denen sich Menschen Splitter ihrer Gedanken über die Suche nach Liebe, Lust und der Gier nach Leben austauschen. Dass das Stück ursprünglich auf dem Erfahrungshintergrund der Banlieue von Paris von dem Autor entwickelt wurde, ist eigentlich kaum noch zu merken. Es könnte genauso vor dem Bahnhof Zoo in Berlin oder am Münchner Hauptbahnhof spielen, wo sich Menschen für Sekunden begegnen, aber oft ein Blick oder eine kleine Bemerkung beim Gegenüber die unterschiedlichsten Eindrücke hinterlassen.
Der Aufführung folgte ein kleiner Jubiläumsempfang in dem auf die Geschichte des Theaters , vor allem aber auf die zahlreichen Förderer und Unterstützer eingegangen wurde.
Eine „Spätvorstellung“ ergänzte dann das Theatererlebnis in besonderer Weise. Parallel zur Ausstrahlung im polnischen Fernsehen wurde an diesem Abend die Deutschlandpremiere des Dokumentarfilms „Gliwickie lata Tadeusza Różewicza“ („Gleiwitzer Jahre von Tadeusz Różewicz“) der Theaterhistorikerin Maria Debicz und des Filmemachers Krzysztof Korwin Piotrowski aufgeführt. In beeindruckenden Bildern, die erfreulich wenig von dem heute üblichen hektischen Schnitt zeigen, wird einfühlsam, verbunden mit historischen Aufnahmen, das Leben des bedeutenden polnischen Lyrikers und Dramatikers vor allem der 50er und 60er Jahre geschildert. Als besonders angenehm fiel auf, daß Różewicz in seinen Erzählpassagen nicht Objekt von Film und Regisseur wird, sondern auch seine Kommentare mit in den Film einfließen.
Różewicz, mit vielen Preisen geehrt und von Freunden und Kollegen eigentlich längst als Anwärter für den Literaturnobelpreis gesehen, war schon in der 60er Jahren in Westberlin am Schillertheater und fast zur gleichen Zeit in der DDR als Theaterautor entdeckt worden.
Der 88 jährige plant übrigens für den Sommer 2010 einen Besuch im Teatr Studio in Berlin.